2020
Lindner & Steinbrenner
»Die Reifekammer der Zweisamkeit ist toll.«
Im Gespräch mit Lotte Lindner & Till Steinbrenner
Den einen (Sisyphos-)Moment der Ruderin richtig in Szene zu setzen, hat lange gedauert: »Meist entwickeln sich die Dinge sehr langsam«, beschreibt Lotte ihre Arbeitsweise. Den ersten Rundgang in Braunschweig habe sie mit Till vor eineinhalb Jahren unternommen. »Dann sammeln wir Ideen, machen Skizzen, denken an einem Faden weiter, und manchmal verlassen wir ihn auch, weil er uns nirgends hinführt, und dann nehmen wir einen neuen auf.« Durch die Ortsbezogenheit ihrer Arbeit sei wiederum die Zweisamkeit nützlich. »Jeder sieht an einem Ort andere Dinge, und die werfen wir zusammen.«
Allein, erzählt Till, käme er oft an einen Punkt, wo ihm alles gleich gut oder gleich schlecht erscheine. Nicht so zusammen, nicht in der Zusammenarbeit mit Lotte. »Die Reifekammer der Zweisamkeit ist toll«, sagt er. Toll heiße allerdings nicht unbedingt harmonisch. Im Gegenteil: Zur Kunst gehöre auch der Streit. Überzeugungsarbeit brauche es immer, erklärt Till mit ernstem Ton. »Selbst wenn man sich bei einem Thema prinzipiell einig ist, geht es dann noch um die Form und ganz viele tausend Millionen Details, bis es dann inhaltlich geplant und umgesetzt und vor Ort ausgeführt ist. Da wir uns da ständig gegenseitig überzeugen müssen, ist es eine gute Reifekammer für Ideen.«
»Wir haben ein strenges Konsensprinzip. Eine Idee, die wir nicht beide gut finden, wird nicht umgesetzt.« Dann aber scherzt er: »Das bedeutet, dass man sich entweder überzeugen lässt oder körperliche Gewalt anwendet, oder irgendwie anders versucht, den anderen ins Boot zu kriegen.«
Lotte lacht: »Ich bin viel stärker als er.«
Dabei wirkt sie eigentlich zurückhaltender. Lotte ist eingepackt in eine hellbeige Safari-Jacke über einem Jeanshemd über einem orangefarbenen Rollkragenpullover. Till hingegen trägt ein elegantes schwarzes T-Shirt, wirkt extrovertierter. Er scherzt öfter, bringt sie zum Lachen. Insgesamt redet er mehr als sie. Aber wenn Lotte zu einem Satz Anlauf nimmt, bleibt er still.
Ein sichtbares Indiz für Lottes Einfluss trägt Till im Gesicht. Es ist der markante Bartstreifen über seiner Oberlippe, der an alte Hollywood-Größen wie eben Clark Gable erinnert. »Mein Bart ist ein leider nicht gelungener Witz«, lacht er, »der Witz misslang mir vor 14 Jahren.« Neben ihm kichert Lotte. »Ich hatte«, fährt er fort, »in einem Zustand des allgemeinen Ungepflegtseins einen kräftigen Zwölf-Tage-Bart erlangt, habe den dann abmontiert mit dem Rasierer und als Witz hier diesen Pornobalken stehen lassen. Dann bin ich zu Lotte zum Frühstück gekommen und sie sagte: »Das sieht aber geil aus!« Danach habe er den Rest-Bart nicht mehr »abmontieren« dürfen.
Bereits bei der Zeitsicht-Preisverleihung 2013 im Augsburger Höhmannhaus fand Till bewegende Worte über die gemeinsame Arbeit mit Lotte, die mittlerweile fast zwei Jahrzehnte andauert. Er forderte das Publikum auf, eine Radierung an der Wand in den Blick zu nehmen, die in Anlehnung an ihre erste größere Performance im Jahr 2003 in Mailand – ein Hochschulprojekt – entstanden war: Darauf zu sehen ein Mann und eine Frau, die sich beim Kartoffelschälen gegenübersitzen, eine Person hält das Messer, eine die Kartoffel. Diese Radierung spiele, so Till damals, an »auf unsere Anfänge, auf unsere erste gemeinsame Arbeit.« In ihrer Laudatio wird Marina Abramović darüber sagen: »this installation is not just something you look at – they involuntarily include you in participation, they make you really engaged.«
1–1000
2009
Foto: Lindner & Steinbrenner
Sieben Jahre später sitzen Lotte Lindner & Till Steinbrenner nebeneinander auf ihrer Terrasse. Selbst über die Entfernung und nur mit einer Kamera verbunden spürt man die in der Zweisamkeit geborene künstlerische Energie, die sie ihrer Arbeit einflößen. Eine weitere Komponente ihres Werks, die im Gespräch spürbar wird, ist die Aufrichtigkeit, mit der sich die beiden mit ihrer Umwelt kritisch auseinandersetzen:
Bei vielen der Bildern, Installationen und Performances von Lotte Lindner & Till Steinbrenner fällt ein politischer Bezug auf. »Eine kapitalismuskritische Position zieht sich durchaus durch unsere Arbeit«, bestätigt Till. So hätten sie einmal ein Bankhaus unter eigenem Namen (»Liquide. Bankhaus Fink, Lindner & Steinbrenner« von 2017) gegründet, Papier in Dollarnotengröße nummerieren lassen (»Bedürfnisse, die der Phantasie entspringen« von 2012). Inspiriert waren die beiden damals vom Euro-Rettungsschirm.
»Das war das erste Mal, dass ein Rettungsschirm ein Volumen von über einer Billion Dollar hatte«, erklärt Lotte. Die beiden recherchierten, was für ein Ausmaß so eine Summe in 1 US-$-Scheinen hätte. Aus Platzgründen beschränkten sie sich am Ende auf die Ausstellung von 2,5 Millionen dollargroßen Papierscheinen. Das Self-Made-Geld war auf sieben Paletten mit einem Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen gelagert. Ein Mitarbeiter nummerierte die Scheine während der Ausstellung mit einem Stempel. Für die Zuschauer wurden so die Geldsummen spürbar, die die Nachrichten täglich nennen, die wir mitunter mit einem Kopfnicken wahrnehmen, ohne uns der wirklichen Ausmaße bewusst zu werden.
Für eine andere Performance hatten Lotte und Till eine zwei mal acht Meter große Fahne mit der Aufschrift »Du hast recht« auf öffentlichen Plätzen geschwungen. »Es ging um diese Absurdität, sich ganz laut zu Wort zu melden«, erzählt er, »mit einer Flagge als Inbegriff des politischen Statements oder des Territorialanspruchs, und sich gleichzeitig aber in dieser riesengroßen Geste klein und durchlässig zu machen und zu sagen: Es geht gar nicht um mich.« Kunst weniger als eindeutige Botschaft, sondern als Einladung zum Nachdenken – der Antrieb zieht sich durch das Werk der beiden.
Bedürfnisse, die der Phantasie entspringen
2012
Foto: Lindner & Steinbrenner
»Ich glaube, dass Kunst auch immer frei sein muss, alle möglichen Seiten einzunehmen«, sagt Lotte. Es beschäftige einen, wenn sich die Gesellschaft aneinander reibe, wenn sich Gruppen polarisierten. »So etwas fließt natürlich auch in unsere Arbeiten ein, das lässt sich nicht trennen.« Trotzdem will sie nicht mit politischen Parolen auffallen, sondern mit durchdachten Kunstwerken. »Politisch aktionistisch« wollten sie als Künstler nicht agieren, sagt Lotte.
Trotzdem treiben die beiden politische und wirtschaftliche Themen natürlich um. Till spricht von den schwierigen Bedingungen, unter denen Kunst entsteht. Er kenne den »ewigen Kampf« und das »Händeringen« vieler Kollegen mit ihren Galerien. Wenn ein bestimmtes Kunstprodukt gefragt sei, werde es den Künstlern ans Herz gelegt, etwas Ähnliches zu machen. »Am Ende ist es dann so, dass mittels der Galerie Leute auf die Kunst Einfluss nehmen, die dieses Recht damit erwirkt haben, dass sie sich irgendworan bereichert haben und diesen Reichtum dann mittels der Galerien nutzen, um zu sagen, was der Künstler zu machen hat.« Indirekt werde damit womöglich beeinflusst, was letztendlich im Museum hänge.
Er und Lotte seien in dieser Hinsicht unabhängiger. Ihre Werke, erklärt Till, seien aufgrund ihres Performance-Charakters oder ihrer Größe nur schwer verkäuflich. Sie haben keinen Galeristen. »Das ist eine Freiheit, die teuer erkauft ist«, räumt Till ein. Künstlerisch schaffen sie zwar frank und frei, müssen sich nicht ständig am Markt orientieren, Geld müssen sie dafür aber auf anderen Wegen dazuverdienen – ein Schicksal, das zahlreiche Künstlerinnen und Künstler teilen.
Till nimmt deswegen Jobs an, die nichts mit Kunst zu tun haben, auf die er manchmal »keinen Bock hat«. Es sind aber auch Tätigkeiten dabei, welchen er, oder welchen Lotte, oder welchen die beiden gemeinsam voller Elan nachgehen. So macht Till regelmäßig Steinbildhauerkurse für Mitarbeiter eines großen Handelsunternehmens. Oder ihre gemeinsame Gastprofessur an der Kunstakademie in München: »Es gibt eigentlich nichts Schöneres«, erklärt Till, »als mit jungen, engagierten Künstlern zu arbeiten und ein Stück weit mit ihnen zu leben und sich auszutauschen. Und ich kann auch gar nicht sagen, wer da von wem mehr profitiert, die Lehrenden oder die Studierenden?«
Aber warum gibt es Künstlerpaare nicht viel öfter, wäre das nicht die logische Schlussfolgerung ihrer eigenen Erfahrungen, gewonnen in der Reifekammer der Zweisamkeit? »Viele Künstler haben schon ein starkes Ego«, wendet Lotte ein, »und das deckt sind nicht so gut mit Partnerschaft. Ich glaube, es ist tatsächlich so, dass viele dieses alleine Arbeiten brauchen. Bei uns ist das eben anders.«
So müssen die beiden auch nicht lange nachdenken, als sie die letzte Frage hören: Kunst oder Beziehung, was ist wichtiger? Oder kam schon einmal der Punkt, an dem sie sich diese Frage stellen mussten?
Die beiden sitzen nebeneinander auf der Terrasse. Kein Zögern. Kein Blick zum anderen ist nötig. »In unserem Fall gäbe es die Beziehung ohne Kunst nicht und die Kunst ohne Beziehung nicht«, sagt Till. »Ich kann mir nicht vorstellen, als Künstler alleine zu arbeiten, weil es einfach scheiße ist.« Ein Großteil der Arbeit sei sehr mühselig. Das müsse man teilen. Lotte schaut Till einen Moment an und fügt ruhig hinzu: »Ich kann mich an keinen Moment erinnern, der auf diese Frage eine Antwort nötig gemacht hätte.«
So geht es nach fast 20 Jahren gemeinsamer Arbeit weiter im künstlerischen Schaffen von Lotte Lindner & Till Steinbrenner. Derzeit arbeiten die beiden an einer größeren Installation für ein Museum in Hannover, mehr können sie noch nicht verraten. Außerdem wurden sie ins leitende künstlerische Team der Stadt für die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2025 berufen.
Darüber hinaus gibt es noch ein Projekt, das Lotte und Till zumindest künstlerisch in Gefilde jenseits der Reifekammer der Zweisamkeit führen könnte: Mit einer alternativen Akademie in Hannover wollen sie einen Raum für Austausch schaffen, der eine noch größere Zahl von Künstlern zusammenbringt. »Weil«, wie Till grinsend anmerkt, »zwei einfach immer mehr denken können als einer und fünf noch mehr als zwei.«
Bei diesem Satz muss Lotte schmunzeln.
Family IV
2004
Kaltnadelradierung, handcoloriert
Foto: Lindner & Steinbrenner